Der Berggeist vom Greifenstein steht Gevatter
Einst lebte in Geyer ein armer Häuer, namens Hans Geißler, der war blutarm und hatte ein schwangeres Weib und viele Kinder und wußte oftmals nicht, wo einen Bissen Brot hernehmen. Am größten war aber seine Not am Silvesterabend, als die Niederkunft seines Weibes auf wenige Sunden heran war und er weder eine warme Stube noch sonst eine Erquickung, ja nicht einmal eine Wehmutter für sie hatte. Er eilte hinaus, eine erfahrene Muhme zu holen, verirrte sich aber bei dem gräßlichen Schneegestöber vom Wege und kam, durch tiefe Wehen sich mühsam durcharbeitend, zuletzt an die Felsenschichten des nahen Greifensteins. Er erschrak und wollte umkehren, als der Berggeist ihm erschien und mit freundlichem Blick ihn also ansprach: „Eile, glücklicher Vater! Gott hat dein Weib mit drei holden Knäblein gesegnet! Wenn du nicht dawider bist, will ich dein Gevatter sein!“ Da verließ Hansen die Furcht, und er antwortete: „ In Gottes Namen magst du mein Gevatter sein, aber wie tue ich dir die Stunde der Taufe kund?“ Wie nun der Berggeist lächelnd sagte, daß er ohnedem zur rechten Zeit kommen werde, da verließ sich Hans darauff und eilte heim.
Sein Weib hatte ihm wirklich drei holde Knäblein geboren. Am anderen Tage, als alles zur Taufe bereitet war, da ließ auch der Gevattersmann vom Greifenstein nicht auf sich warten. Er erschien in Häuserkleidung und übte das fromme Werk mit inniger Andacht, und als die heilige Handlung vorüber war, da schenkte er Hansen einen Schlägel und ein Eisen und sprach: „Lieber Gevatter, bete und arbeitet! Wo du mit diesem Gezäh einschlägst, da wirst du reiche Ausbeute finden, und dann denke allemal an deinem Gevattersmann!“ Darauf verschwand er. Seine Worte aber trafen ein; Hans ward ein reicher Mann und soll die Siebenhöfe bei Geyer gebaut haben.
Quelle: Lauterbach, W.: Sagenbuch des Erzgebirges, Altis-Verlag, Berlin 1995
Markus Baumgart - DER KETTENSÄGENSCHNITZER, Voigtsdorf